Die Corona-Pandemie setzt der Mode-Branche schwer zu. Die Menschen sparen beim Kleidungskauf. Zusätzlich gibt es zu viele Marken und Kleidung in der Branche. Insider sprechen von knapp 30 Prozent Warenüberschuss in den Läden. Wird Corona jetzt die Reihen lichten? Mit welchen Berufsaussichten und Chancen gehen junge Modedesigner angesichts dieser Perspektiven an den Start? Und wie haben Krisen die Mode schon immer auch positiv geprägt – zum Beispiel die Weltkriege? Darüber habe ich mit dem Berliner Modedesigner und Dozenten Christian Mau gesprochen.

Der Mode-Branche in Deutschland ging es bereits vor Corona nicht gut – jetzt hat die Konsumzurückhaltung noch mal mehr Probleme für Mode-Marken und Händler gebracht: Von einer „Insolvenz-Welle“ ist sogar die Rede. Kann man heutzutage noch junge Studierende für Modedesign guten Gewissens in diese Krisen-Branche entlassen?
Christian Mau: (sofort) Ja. Warum denn nicht?

Es wird immer einen Bedarf und eine Sehnsucht nach Mode geben.

Weil es so schwierig geworden ist, auf dem Markt Fuß zu fassen.
Das ist die falsche Herangehensweise für Studenten. Und man kann nicht die gesamte Branche über einen Kamm scheren. Es gibt innerhalb der Mode Bereiche, denen es gut geht. Definitiv die Luxus-Branche, LVMH steht beispielsweise besser denn je da. Und die Welt dreht sich trotz Corona weiter. Die Menschen ziehen sich jeden Tag an und die Weltbevölkerung wächst, damit wachsen immer mehr Konsumenten nach. Also wird es auch immer einen Bedarf und eine Sehnsucht nach Mode geben. Darum brauchen wir neue junge Designer, die Bekleidung auch aus anderen Blickwinkeln betrachten!

Die Deutschen geben aber leider weniger Geld für Mode aus, sie kaufen mehr Fast Fashion ein und die Marken im mittleren Preissegment haben es schwieriger. Kommt diese Entwicklung auch im Studium zur Sprache oder steht ausschließlich das kreative Schaffen im Vordergrund?
Absolut kann ich dem nur zustimmen. Diese Entwicklung kommt auch zur Sprache. Aber in erster Linie kommt es auf Ideen, Ideen, Ideen für kreatives Schaffen an, wenn ich so eine Ausbildung mache. Entscheidend ist, dass Studierende ein gutes kreatives Grundgerüst bekommen und sich nachher von anderen unterscheiden können, weil bereits so viel da ist.

Christian Mau
Foto: Lola Siebert

Zur Person Christian Mau:

  • gelernter Herren-Maßschneider,
  • hat an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, anschließend die Hochschule für angewandte Kunst in Wien und zum Abschluss an der Hochschule der Künste Modedesign studiert
  • Zu seinen beruflichen Stationen zählten Wolfgang Joop und Gorgio Armani und der Department Store 206.
  • Er hat 1996 das erste Design-Labor für Produktentwicklung in Berlin gegründet, anschließend war er Leiter der Privatschule Best-Sabel-Schule
  • Heute arbeitet er als Dozent und Designer.

 Wir müssen weniger und bewusster einkaufen. Das müssen wir auch unseren Kindern beibringen.

Wird Corona die Modebranche grundlegend verändern?
Definitiv wird Corona Spuren hinterlassen. Alles was schon vorher an Entwicklungen begonnen hat, wird durch Corona wie ein Brennglas vergrößert. Wir sehen die Probleme viel klarer. Der Markt an sich sortiert bereits aus, Corona wird das verschärfen.

Inwiefern?
Wir sind aktuell über sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Wir haben locker für all diese Menschen genügend Kleidung und müssten die nächsten fünf bis zehn Jahre nichts mehr herstellen. Es ist also ein Über-Über-Angebot an Kleidung da. Da sind wir alle gefragt, wie wir damit umgehen und jetzt auch unsere Konsumeinstellung hinterfragen.

Wollen Sie sagen, Mode soll nicht mehr Mode verkaufen? Wie soll das gehen?
Indem wir weniger, aber bewusster einkaufen. Das müssen wir auch unseren Kindern beibringen. Teenager jedoch wollen ihren Idolen nacheifern und Mode hilft ihnen, sich da zu finden. Kleidung ist in dieser Findungsphase Mittel zum Zweck sich auszuprobieren. Aber Erwachsenen könnten aber gucken, wie viel Kleidung sie brauchen. Die Herausforderung für Designer ist jetzt, eine gute Klassik zu machen, die länger von Menschen getragen wird. Die länger verschiedene Schwankungen aushält und trotzdem noch gut aussieht.

Kürzlich schrieb die Vogue: „Die derzeitige Corona-Krise wird auch verändern, was wir tragen.“ Sehen Sie das auch so?
Nach Krisen und Kriegen erwachte auch immer der Hunger auf ein neues Lebensgefühl, das die Mode liefern kann. Mit ihr wollten die Menschen frischen Wind in ihr Leben bringen, aber auch die schlimmen Zeiten bei Seite schieben.

Ich sehe die Jogginghose nicht demnächst im Büro.

Einige sagen, die Home-Wear würde unseren Kleidungsstil prägen – wir würden es künftig noch bequemer und lässiger haben wollen. Sehen Sie die Jogginghose demnächst im Büro?
(sofort) Nein. Das ist gerade ein beliebtes Thema, weil es für Provokation sorgt. Das macht Mode gern. Die Casual-Wear ist aber bereits viel früher als Corona gekommen. Für Zuhause hat das gut gepasst – aber bitte nicht für alle Gelegenheiten!

Wie haben bisherige Krisen die Mode geprägt?
Die Kriege haben mitunter Einfluss auf die Mode gehabt. Soldaten mussten sich warm halten, entsprechend wurden Mäntel wie der Trenchcoat oder die Bomberjacken erfunden. Sie mussten auch ihr Equipment leicht unterbringen können, entsprechend die Taschen haben.

Und andere Krisen wie Wirtschaftskrisen?
Bei den Männern war die Mode in der Tat eher klar auf kriegerische Aktionen und auf Repräsentation ausgerichtet. Sie hat also eine andere Funktion als die der Frauen. Bei den Männern waren es eher pragmatische Entscheidungen, die die Mode geprägt haben. Man muss aber sagen, dass die Krisen eher die Frauenmode als die Männermode geprägt. Nehmen wir als Beispiel die Hose; Frauen mussten die Dienste der Männer übernehmen. Aber als die Krisen vorbei waren, wurde Mode auch wieder schmückender und weiblicher.

Heutzutage wird die Mode androgyner; auch Männer können Spitzen-Hemden oder Seiden-Hemden mit einer Schluppe tragen…
Schon immer haben sich Männermode und Frauenmode gegenseitig befruchtet. Nehmen Sie die Hose oder den Anzug, den Marlene Dietrich in den 1920ern für die Frauen tragbar machte. Aber die Schluppenbluse ist trotzdem nicht jedermanns Geschmack und steht auch nicht jedem Mann. Es ist alles nicht immer nur eine Frage der Proportionen, sondern auch der Balance. Und auch der Anlass spielt eine zentrale Rolle.

Es ist wichtig, dass wir unsere Studenten von Beginn an ernst nehmen und reinen Wein einschenken.

Am Anfang sprachen wir über die künftigen Käufer von morgen. Da schwang bei Ihnen eine große Hoffnung mit, dass das die Käufer sind, die wieder mehr Geld für Mode ausgeben und diese mehr schätzen.
Ich unterrichte meine Studenten von Anfang an so, als ob sie bereits auf dem Markt sind. Das ist wichtig, denn sie werden die Menschen sein, von denen ich morgen Mode kaufe. Es ist wichtig, dass wir unsere Studenten von Beginn an ernst nehmen und reinen Wein einschenken: „Da liegen die Probleme in der Branche. Die Fragen sind ungelöst. Da können Krisen auf uns zukommen. Und was ist eure Meinung, wie wir das lösen könnten?“ Und da habe ich große Hoffnung. Generell müssen wir uns künftig – vor allem bei unserer Kleiderwahl – mehr Zeit nehmen für die Fragen: Wer bin ich? Was will ich darstellen? Und was kaufe ich mir, das mir vielfältige Möglichkeiten gibt? Wir müssen uns künftig wieder mehr mit einem der ältesten Kulturgüter der Menschheit auseinandersetzen – mit Bekleidung. Corona ist nun der Anlass für uns, Luft zu holen und uns zu überlegen, welche Werte für uns wirklich die tragenden sind.