Neulich zur Fashion Week in Berlin-Mitte schaute mich ein Bekannter feixend an und meinte: „Was die ganzen Fashionistos jetzt dazu sagen würden, dass ich heute ein T-Shirt für 1,50 Euro trage?!“ Und auf meine Nachfrage – die man im Volksmund mit WTF  übersetzen könnte – antwortete er: „Wieso, die großen Marken lassen doch auch nur noch billig in China und Bangladesch produzieren.“ Deshalb die Stil-Frage: Darf man ein T-Shirt aus der Fast-Fashion für 1,50 Euro kaufen – weil auch die höherpreisigen Marken angeblich längst zu Billiglöhnen produzieren lassen?

Es ist eine Frage, die zutiefst ins deutsche Sparbewusstsein trifft. Am All-you-can-eat-Büffet im China-Restaurant pflegte mein ehemaliger Schwiegervater zu sagen: „An mich verdienen die hier nix!“ und sich dann ordentlich Peking-Ente auf den kleinen Teller zu wuchten. Das Fast-Fashion-T-Shirt für 1,50 Euro aus China ist die logische Fortführung dieser verqueren „Geiz ist geil“- und „Ick koof nur noch im Discounter“-Mentalität. Es ist paradox: als eine der reichsten Nationen der Welt geben wir am wenigsten für Lebensmittel und Mode aus. Gemessen an unserem Einkommen beträgt der Anteil für Lebensmittel nur 14 Prozent. Und der für Mode? 4 Prozent, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

60 Kleidungsstücke kauft jeder Deutsche laut Greenpeace angeblich im Jahr

60 Kleidungsstücke würden wir Deutsche im Durchschnitt pro Jahr kaufen, behauptet hingegen die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Eine Zahl, die mir doch sehr dramatisch scheint. Das wären ja fünf Kleidungsstücke im Monat – und da komme ja noch nicht mal ich als Männermode-Blogger und Mode-Liebhaber drauf. Geschweige denn meine Großmutter, die ja bei Durchschnittswerten mit ihrem Konsum ebenfalls einfließen würde.

40 Prozent unserer Kleidungsstücke sind Kleiderschrankleichen.

Wer bei Greenpeace in Hamburg anruft, bekommt hierzu den Hinweis auf eigene Studien und eine Expertin ans Telefon, die nur so vor Zahlen und Vorwürfen sprudelt: Zwischen den Jahren 2000 und 2014 habe sich die Menge der Kleidungsstücke verdoppelt. Ich wiederhole: Verdoppelt! Laut der im Oktober in Köln beginnenden Ausstellung Fast Fashion tragen wir 40 Prozent unserer Kleidungsstücke im Kleiderschrank: nie. Noch mal zur Wiederholung: 40 Prozent Kleiderschrankleichen. Wie du diese vermeidest, habe ich dir hier aufgeschrieben: Shopping-Hacks für Männer.

Blut und Chemie klebe an einem Fast-Fashion-Kleidungsstück

Die Mode-Industrie sei eine der dreckigsten Industrien weltweit, mahnt die Greenpeace-Frau am Telefon. Und dann fällt der Satz, der aufhorchen lässt: An einem 1,50-Euro-T-Shirt klebe „Blut und Chemie“. Das klingt schon danach, dass man auch gleich eine Nase Koks nehmen kann, wenn man sich das T-Shirt für 1,50 Euro überstreift. Kommt ethisch aufs Gleiche raus.

Fast Fashion T-Shirt
Foto: istock, alessandroguerriero

Faktisch gesehen hat unser Bekannter leider Recht: Hohe Namen schützen nicht vor niedrigsten Arbeitsbedingungen. Wer ein teures Smartphone kauft, kann leider nicht sicher sein, mit dem hohen Preis auch faire Produktionsbedingungen mitgekauft zu haben. Ähnlich verhält es sich leider auch mit der Textilindustrie. Auch hier hat sich traurigerweise gezeigt, dass einige namhafte Marken in gleichen Fabriken produzieren ließen und bis heute lassen wie Billig-Anbieter. Das decken regelmäßig Fernseh-Reportagen der Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsender auf. Mehr dazu auch in meinem Interview mit der Buch-Autorin Imke Müller-Hermann, die ich für SPIEGEL ONLINE interviewt habe.

„Für 1,50 Euro ist es fast undenkbar, dass faire Arbeitsbedingungen an den Produktionsstandorten herrschen.“

Allerdings kann und darf die im Grunde perverse Schlussfolgerung dann nicht sein, achselzuckend einfach direkt zum Fast-Fashion-T-Shirt für 1,50 Euro zu greifen. „Für 1,50 Euro ist es fast undenkbar, dass faire Arbeitsbedingungen an den Produktionsstandorten herrschen“, sagt Alexander Kohnstamm, Geschäftsführer der Fair Wear Foundation in Amsterdam auf Nachfrage von Style Statements.

Für 1,50 Euro wird nix fair produziert – aber für 3,99 Euro

Hier kann man so was von sicher sein, dass für diesen günstigen Preis jemand drauf gezahlt hat. Die Näherin, der Planet, der Verkäufer. Und dieses falsche System zu unterstützen, kann somit nicht die richtige Schlussfolgerung sein. Die liegt stattdessen in der Fair Wear Foundation: ein weltweiter Zusammenschluss von Marken, die sich für faire Arbeitsbedingungen stark machen und diese regelmäßig überprüfen. Hier finden Männer bereits namhafte Marken wie Van Laak, Suit Supply, Acne, Vaude – und Überraschung auch die Marke Takko, eher bekannt aus dem Niedrig-Preis-Segment.

Diese verblüfft damit, dass es tatsächlich gehen kann, angeblich fair und preiswert zu produzieren. Günstigstes T-Shirt im Online-Shop: 3,99 Euro. Wie kann das sein? „Faire Arbeitsbedingungen sind bei diesem Preis tatsächlich möglich“, erklärt Alexander Kohnstamm. Der Endpreis allein sei kein Garant für faire Arbeitsbedingungen, da die Arbeiter am ganzen Kuchen letztlich den geringsten Anteil haben. Nehmen wir ein Shirt für 29 Euro (siehe Grafik) – daran machen die Lohnkosten unter zwei Euro aus. Manche NGO’s beziffern sie gar auf Centbeträge.

Fast-Fashion
So setzt sich der Preis eines T-Shirts zusammen: von 29 Euro verdient die Arbeiterin nur 18 Cent. Grafik: Fair Wear Foundation

Die fairen Arbeitsbedingungen für die Arbeiter hängen am Ende nicht vom Preis ab, sondern von den „Einkaufspraktiken“, wie Kohnstamm erklärt. Schauen sich die Marken tatsächlich die Produktion vor Ort an und übernehmen eine Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in Fernost? Lassen sie hier dann dauerhaft produzieren? Oder ist die Marke nur Abnehmer, und den Einkäufern ist es letztlich egal, ob das T-Shirt aus einer Fabrik über Hongkong, Dhaka (Bangladesch) oder Rangun (Myanmar) kommt?

FAZIT: Billig-Shirt ja oder nein?

Geht es nach Alexander Kohnstamm sollte man somit als verantwortungsbewusster Kunde nicht nach dem Preis gehen, sondern nach dem Siegel.

Auf www.siegelklarheit.de sind die Siegel aufgelistet, die als Alternative zur Fast-Fashion für faire Löhne und Produktionsbedingungen stehen, darunter neben der Fair Wear Foundation zum Beispiel ihr US-amerikanisches Pendant, die Fair Labor Association (FLA). Bei Letzterer sind übrigens auch deutsche Marken Mitglied. So zum Beispiel Hugo Boss.