Wir duschen zu viel. Wir peelen zu viel. Und wir kommen mit der Natur zu wenig in Berührung – das ist die Quintessenz des neuen Buches „Natürlich waschen! Was unsere Haut wirklich gesund hält“, des US-Journalisten James Hamblin. In akribischer Manier geht der studierte Arzt den Versprechen der Körperpflege-Industrie nach. Im besten Fall schaden sie nur unserem Portemonnaie. Im schlechtesten Fall unserer Gesundheit. Deshalb sagt Hamblin: Heute ist es wichtiger denn je, „unsere täglichen Reinigungsgewohnheiten zu überdenken und uns zu fragen, was wir konsumieren wollen und in welcher Beziehung wir eigentlich zur Natur stehen“.
Sie sehen aus wie Motoröl-Kanister, eingefärbt in maskuline Farben wie Tiefblau, Grau oder Pechschwarz. Sie riechen nach Zedernholz, Minze oder Muskatnuss – und sie versprechen vollmundig eine „vitalisierende Reinigung“ (Seinz von dm), den „Aufwach-Kick“ (L’oreal men expert) oder „starke Pflege für starke Typen“ (Nivea Men) mit der „speziell für Männer entwickelten Formel“. Die Rede ist von den Hautpflege-Produkten für Männer der Kosmetikindustrie.
Keinerlei sichtbare Wirkung und selbst teure Cremes mangelhaft
„Formel“ – das klingt groß. Nach Formel Eins oder nach der Formel der Relativitätstheorie von Albert Einstein. Doch relativ sind leider auch die Ergebnisse viele Produkte, sagt James Hamblin in seinem aktuellen Buch „Natürlich waschen“. Relativ gering. Vor allem in den USA mangelt es an klinischen Studien, die objektiv belegen, was die Hersteller versprechen. In der Europäischen Union ist der Markt immerhin strenger reguliert. Doch auch hier stellen objektive Institutionen wie die Stiftung Warentest fest, dass zum Beispiel Anti-Falten-Cremes keinerlei sichtbare Wirkung haben und auch teure Cremes mangelhaft sind.

Fakt ist: Wir können uns das Alter nicht wegcremen, und wir können uns auch nicht die Jugend auf die Haut schmieren – dafür werden wir Verbraucher sehr angeschmiert von einer Industrie, die mit unserem Wunsch ewig gut und ewig jung auszusehen, mehr als 18 Milliarden Euro 2021 verdient hat. An dieser Stelle gesagt: Es gibt tatsächlich den Corona-Effekt auch in der Körperpflege. Erstmals seit acht Jahren geht der Umsatz zurück, wie der Industrieverband Körperpflege und Waschmittel im Dezember mitteilte. Wir gehen weniger vor die Tür, ergo duschen wir weniger und sprühen uns weniger mit Parfüm ein.
Weniger ist mehr – das Credo bei Hautpflege für Männer
Doch langfristig gesehen boomt der Absatz mit Männerprodukten. Wir wollen stark aussehen, gesund aussehen – mehr dazu in meinem Blogbeitrag Die Besser-aussehen-Formel: Wie wir Männer attraktiver wirken. Spoiler: Während Frauen vor allem jung und schön sein sollen, um attraktiv zu wirken, müssen Männer kräftig sein. Männer werden als neue Zielgruppe immer mehr von den großen etablierten Herstellern und von kleinen neuen Start-ups umgarnt. Die einen setzen auf maskuline Noten, die anderen auf natürliche Inhaltsstoffe. Sogar vegan können Cremes sein. Das mundet dem Mann, der es möglichst einfach und schnell haben will. Weniger ist mehr.
Doch dieses Fazit zieht auch James Hamblin, nicht nur Journalist, sondern ebenfalls studierter Arzt, in seinem lesenswerten Buch. Es ist eine Reise quer durch Amerika und durch die Schönheitsmittel-Industrie, die auch uns Männer fest im Griff hat. Was wir anders machen sollten, erklärt der 39-Jährige gleich zu Beginn des Buches mit einem Selbstouting:
„Vor fünf Jahren habe ich aufgehört zu duschen.“
Zumindest nach gängiger Vorstellung. Während hierzulande mehr als jeder zweite Mann täglich duscht – hierzu habe ich ausführlich in diesem Blogbeitrag geschrieben – hält Hamblin sein Haar nur noch unter Wasser, verzichtet auf Shampoo – und benutzt Seife lediglich für die Hände. Er lässt auch kein Deo, kein Peeling und kein Feuchtigkeitsprodukt an seine Haut. Es hat sein Leben verändert.
An dieser Stelle muss ich mich selbst einbringen: Im Zuge der Recherche zum No-Bathing-Trend habe ich auch meine eigene Körperpflege hinterfragt. So extrem wie James Hamblin möchte ich nicht gehen – aber ich möchte an dieser Stelle dafür werben, das tägliche Duschen zu überdenken. Wir duschen gesunde Stoffe von unserer Haut, die wir anschließend wieder mit Lotionen drauf cremen. Das ist doch paradox! Daran verdient ausschließlich die Industrie.

In seinem Buch beschreibt Hamblin, welche Bakterien auf unserer Haut sitzen. Spoiler: Sogar auf unserer Gesichtshaut leben Mikroben. Sie wuseln zu Billionen (!) durch unser Gesicht. Und das ist gut so, denn die Mehrheit ist nicht nur harmlos, sondern äußerst wichtig für unser Immunsystem. Doch die Bakterien verteilen sich nicht gleichmäßig. Unsere trockenen Ellenbogen mögen andere als unsere feuchten Achselhöhlen. Deshalb soll mann auch nicht täglich die Ellenbogen duschen, sondern nur die Zonen, die wirklich schwitzen: Füße, Intimbereich, Achseln. Hände. Das sagt nicht nur Hamblin, sondern auch der bekannte TV-Arzt Johannes Wimmer:
Das erste Problem ist nun, dass wir uns die gesunden Bakterien täglich abduschen.
Das zweite Problem ist, dass wir uns vielen Bakterien gar nicht mehr aussetzen.
Wir verbringen die meiste Zeit in gut geheizten Räumen, wo es keinen Dreck gibt. Keine Tiere. Kaum Pflanzen. Glück hat, wer als Kind draußen Staudämme im Bach bauen durfte, im Sandkasten Burgen gebaut oder im Wald mit Stöckern Schwertkämpfe gefochten hat. Parallel stellen Wissenschaftler fest, dass immer mehr Menschen in Industrieländern unter Hauterkrankungen wie etwa Neurodermitis leiden. Im Jahr 2008 doppelt so viele wie 1979, zitiert Hamblin die Weltgesundheitsorganisation. Für Neurodermitis gibt es viele Ursachen – doch wissenschaftliche Test in letzter Zeit führen zu positiven Ergebnissen, wenn die Ärzte den Betroffenen gute Bakterien auf die Haut sprühen und so ein Gleichgewicht wieder herstellen, berichtet Hamblin. Es sind erste Ansätze einer neuen Behandlungsmethode, denn unsere Hautbakterien – das „Mikrobiom“ – sind noch so unerforscht wie die Bakterien in unserem Darm. Hamblin sagt:
Die Entdeckung der Milben und Billiarden anderer winziger Geschöpfe unseres Hautmikrobioms bedeutet das Ende der sogenannten „Keimtheorie“, der simplen Vorstellung also, wir müssten die Mikroben bekämpfen, um Krankheiten vorzubeugen.
Wir müssen nichts weniger als die Grundannahmen der Hautpflege auf den Kopf stellen! Porentief rein – wie soll das gehen, wenn die Mikroben auf der Haut ihre wichtige Arbeit machen müssen?
Ein kurzer Ausflug in die Historie der Hygiene
Das tägliche Duschen ist eine Erfindung der Neuzeit. Weder in der Steinzeit, noch im Mittelalter noch in der frühen Neuzeit war dieser Luxus gegeben. Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte war Körperpflege mit religiösen Riten verbunden. Muslime zum Beispiel reinigen sich vor dem Gebet. Der Hinduismus verlangt ebenfalls viele Körperpflegerituale. Die Christen haben sich die Taufe bewahrt.
Unser Sauberkeits-Fetisch basiert auf sozialen Normen. Wer sauber ist, ist reich. Früher konnten sich nur Wohlhabende ein gutes Bad leisten. Das hart arbeitende Volk musste in die Wanne. Erst seit gut 200 Jahren gibt es einen wahren Seifen-Boom hierzulande. Während im Mittelalter der „feuchte Körper“ anfälliger für die Pest galt, kamen dann die Menschen auf den Geschmack und die Unternehmen zu ihrem Geld. Und erst seit 100 Jahren gibt es die vielen Körperpflege-Gewohnheiten, die uns heute selbstverständlich erscheinen: Öle, Masken, Seren und so weiter.
Seife ist gleich Seife – also braucht es gutes Marketing
Hamblin schreibt, dass Seife eigentlich ein Produkt sei, das sich nicht groß unterscheidet. Die vielen Produkte würden aua denselben Inhaltsstoffen bestehen. Aus Tensiden. „Es gibt per definitionem nicht viel Spielraum, das Produkt zu verändern, ansonsten ist es keine Seife mehr.“ Deshalb steckt die Industrie viel Geld in Werbung. Auch mit Influencern arbeitet man gern, die die Produkte voller Überzeugung in die Kamera halten. Auch ich werde des Öfteren angefragt. Ich antworte darauf gar nicht mehr. Eine der bekanntesten Bloggerinnen in der Körperpflege – Emily Weiss – kritisiert, dass unsere westlichen Schönheitsvorstellungen im Grunde darauf basieren, was die Industrie an Produktmarketing hervorgebracht hat. Aus einem Blog, der traditionelle Schönheitsvorstellungen in Frage stellt, schaffte sie ein Unternehmen, das mittlerweile zu den großen Trendsettern in der Körperpflege zählt.
Ob Arzneimittel, Seifen oder andere Körperpflege-Produkte: Die Industrie hat uns wohl genährt mit dem Versprechen, dass dies alles unsere Haut verbessert. James Hamblins Buch setzt hinter diesem Versprechen ein wichtiges Fragezeichen. Wir müssen unser Gesicht nicht permanent peelen, wir müssen nicht alle Körperstellen täglich einseifen und wir brauchen auch keine teuren Hautcremes, um gesund auszusehen. Viel wichtiger sind: ausreichend Schlaf, gutes Essen, wenig Stress und frische Luft.
Die neue Freiheit im Badezimmer bedeutet für mich, die teuren Cremes durch eine gute Feuchtigkeitscreme aus der Drogerie zu ersetzen. Auf das Gesichtspeeling werde ich künftig verzichten und meine Haut schonender duschen.
James Hamblins Buch: „Natürlich waschen! Was unsere Haut wirklich gesund hält” ist im Kunstmann-Verlag erschienen. Es kostet 24 Euro.