Neulich erreichte mich ein Leser-Kommentar: „Wann kommt denn ein Artikel über die aktuellen Männermode-Trends diesen Herbst/Winter?“ Es werde doch „langsam mal wieder an der Zeit, wo es kalt wird“. Ich stockte. Hatte dieser Leser nicht die Corona-Krise mitbekommen? Hatte er nicht miterlebt, wie Corona derzeit die gesamte Mode-Branche, sogar unser gesamtes Konsumverhalten, in Frage stellt? Und dann fragte ich mich: Kann ich noch Trend-Artikel so schreiben wie vor Corona? Oder gebietet es die Pandemie nun, uns doch in diesem Stillstand zu besinnen und Relevanzen und Werte weg von kurzlebigen und oberflächlichen Trends hin zu Nachhaltigem zu verschieben?

Wie einige von euch wissen, ziehe ich innerhalb von Berlin um. Im Wohnzimmer fangen sich die Kisten an zu stapeln. Jeden Tag wächst der Turm aus sorgfältig gepackten Dingen meines Lebens: Unten Bücher, oben Kleidung. 20 Kilo maximal. Beim Aussortieren meiner Kleidung fällt mir auf, wie viel ich tatsächlich trage. Ich weigere mich partout, die ersten Sachen einzupacken, um sie dann mit zwei, drei Wochen Zwangspause nicht tragen zu können. Wahrscheinlich bin ich einer der wenigen, die wirklich 75 Prozent ihrer Sachen wiederkehrend tragen. Andere Modejournalisten berichten von einer Hand voll Lieblingsstücken, der Rest seien „Kleiderschrankleichen“. Das kann ich nicht bestätigen. Ich kaufe regelmäßig neue Kleidung, die ich dann auch mit Herzblut trage und kombiniere – sogar jetzt, wo das Bankkonto eigentlich für neue Möbel flüssig bleiben muss, wandern noch Kleidungsstücke hier und da in den Warenkorb.

Wie viel Geld gebe ich im Jahr für Mode aus?

Ich wage das gar nicht durchzurechnen. Die Summe würde mich vermutlich sehr schocken. Aber mittlerweile kaufe ich nach drei bewährten Regeln:

  1. Wenn du nicht weißt, ob es dir steht – steht es dir nicht (Fashion-Redakteur Scott Omelianuk, mehr Style Statements in meinem Beitrag Nützliche Mode-Zitate)
  2. Wenn ich nicht mindestens 3 Outfits mit diesem Teil kombinieren kann, gebe ich es zurück.
  3. Wenn ich es nicht sofort am nächsten Tag anziehen will, ist es nicht das richtige gewesen.

Mit diesen Shopping-Tipps, die sich durch das Schreiben dieses Blogs entwickelt haben, bin ich gut gefahren. Der Durchschnittseuropäer soll angeblich 10.000 Gegenstände besitzen. Der Durchschnittsmann in Deutschland besitzt 10,1 Paar Schuhe – die Durchschnittsfrau 20,4. Der Durchschnittsamerikaner kauft 68 Kleidungsstücke neu im Jahr.

„Alles, was du besitzt – besitzt irgendwann dich!“

Das sagte die Film-Figur Tyler Durden in „Fight Club“. Was das heißt, weiß man, wenn man umzieht. Dann wird der Besitz zur Last, die zu schwer für Kisten und zu viel für den noch freien Platz in der Wohnung wird. Wenn du alles aus deinen Schränken herausholst und für den Abtransport vorbereitest, weißt du, wie viel Ballast 10.000 Gegenstände im Leben sein können.

Müssen es nun noch mehr Kleidungsstücke sein?

Muss ich stets den neuesten Trends hinterherlaufen, wenn ich doch schon genug Kleidung zum Anziehen habe? Brauche ich die Luxusmarken-Stücke, die ich doch noch seltener als meine günstigeren Sachen trage, damit sie nicht zu schnell abnutzen? So wie die Oma ihr Silberbesteck selten benutzt hat, das sie dann nahezu neu vererbt hat.

Corona mahnt uns dieser Tage zur Bescheidenheit.

Ich erfreue mich wieder mehr an den einfachen Dingen des Lebens: über einen abwechslungsreichen Tag, mal nicht nur im Home-Office, wenn ich mit der Straßenbahn zu meiner neuen Wohnung fahre. Oder einen Freund auf einen Kaffee treffen kann. Oder mich tatsächlich jemand mal im wahrsten Wortsinne berührt.

„Die Welt nach Corona wird eine andere sein“, sagen Experten voraus.

Der Black Friday mit seinen satten Rabatten zeigt aktuell, dass es wohl schwer wird, unsere alten Konsumgewohnheiten abzulegen. Wir dürfen nicht ins Theater, nicht ins Museum, nicht ins Kino – aber wir dürfen schön konsumieren. Also ab in die Stadt, in die Elektronik-Kaufhäuser, in die Baumärkte. In manchen Innenstädten kaufen die Menschen bis zum Kollaps. Die Fußgängerzone meiner Heimatstadt Bielefeld musste vor ein paar Tagen von der Polizei geräumt werden. Zu viele Rabatt-Angebote, zu viele Menschenmassen, zu wenig Abstand.

Ich hoffe sehr, dass die Experten Recht behalten und die Welt nach Corona wirklich eine andere werden wird. Dass sich die Modebranche doch jetzt besinnt und alte Geschwindigkeiten auf den Prüfstand stellt. Müssen es ein Dutzend Kollektionen im Jahr wirklich sein? Braucht es in der Tat noch so viel Durchschnittsmode und Mittelmaß, das wir nach einer Saison wieder aussortieren? Müssen Paketboten wirklich so viel Kleidung die Treppen hoch tragen und bei den Nachbarn deponieren?

Corona hat die Modebranche durcheinandergewirbelt wie kaum ein Ereignis zuvor.

Viele Menschen haben sich den Gang in die Modehäuser gespart, weil diese geschlossen waren oder sie selbst wegen Kurzarbeit Mode als Luxus betrachtet haben. Oder weil sie einfach auf der Jag nach der letzten Rolle Klopapier waren. Ich war an einem Samstag mal in fünf Geschäften, um Klopapier zu bekommen. Verrückt! Hinzu kamen die ausgefallenen Fashion Weeks, die es leider auch mir nicht erlaubt haben, für euch die Trends zu entdecken. Und auch für die Home-Offices dieser Tage wirkt ein schönes Outfit irgendwie overdressed. Die Mode ist bequemer geworden, die Hose lockerer, das Oberteil kuscheliger.

Das Coronavirus bedeutet das Ende der Modewelt, wie wir sie kennen, schreiben Modezeitschriften.

Nach Corona werde es anders weitergehen. Es muss. So wie bisher kann es nicht weitergehen. Das bestätigte mir neulich auch der Berliner Mode-Designer Christian Mau:

„Wir müssen uns künftig wieder mehr mit einem der ältesten Kulturgüter der Menschheit auseinandersetzen – mit Bekleidung. Corona ist nun der Anlass für uns, Luft zu holen und uns zu überlegen, welche Werte für uns wirklich die tragenden sind.“

Ich selbst möchte diesen Wandel mitgestalten und habe mich deshalb dazu entschlossen, künftig weniger über kurzlebige Trends zu berichten und mehr in die nachhaltige Vorstellung von Männermode-Entwicklungen zu gehen. Ich möchte euch die Kleidungsstücke vorstellen, die mich überzeugt haben. Ich möchte euch die Marken näher bringen, die die Weitsicht haben, dass Mode nicht länger auf Kosten anderer Menschen am anderen Ende der Welt gehen kann. Oder auf Kosten unseres Planeten. Das ist mein bescheidender Beitrag Missverhältnisse in dieser Branche zu verändern. Ich habe kürzlich über ein Buch zu der Thematik anders argumentiert und erwidert, dass man die Verantwortung nicht allein uns Verbrauchern überlassen kann. Dabei bleibe ich weiterhin. Auch die Politik, auch die Wirtschaft selbst muss etwas tun. Aber wir Verbraucher können mit jedem Kauf das richtige oder falsche System unterstützen.

Wenn Corona uns hoffentlich eines gezeigt hat, dann das Leben kostbar ist. Dass wir unsere Gesundheit wertschätzen sollten – und auch für die Gesundheit anderer Menschen eine Mitverantwortung tragen. Egal, ob in Deutschland. Oder in Bangladesch. Oder in der Türkei, wo viele einfache Arbeiter unsere Jeans produzieren und hierfür maximale Gesundheitsschäden in Kauf nehmen. Ich habe euch das alles in meinen Beiträgen zum Thema Fast Fashion aufgeschrieben.

Wir haben jetzt dieses schmale Zeitfenster, in dem wir die Erderwärmung noch in den Griff kriegen können. Wenn wir dieses nicht nutzen, wird es für unsere Nachmieter noch ungemütlicher werden auf dieser Erde. Wissenschaftler haben kürzlich erneut angemahnt, dass Corona kaum eine Delle in dieser beängstigenden Entwicklung bedeutet. Zu meinem Geburtstag Mitte September waren es erstmals in meinem Leben 30 Grad. Dreißig Grad im September! Als Kind bin ich im Dezember/Januar in Schneeklamotten aus dem Haus gerannt und habe mit meinem Anorak Schneeengel in den Schnee geformt. Wie viele Kinder können das heute noch in unseren Breitengraden?

Umzüge sind für Nachhaltigkeit eine Wohltat; ich nehme all meine Dinge in die Hand und sortiere aus, was nichts mehr mit mir emotional macht. Marie Kondo hat diese Methode entwickelt. Ich verschenke Dinge weiter, ich verkaufe Möbel, die ich nicht mehr brauche.

Umzüge sind auch eine Wohltat für den Kauf von Neuem. Zu den drei Shopping-Regeln gesellt sich nämlich dann eine vierte dazu: Bin ich bereit, dieses Kleidungsstück durch halb Berlin zu transportieren? Vielleicht kann ich mir diese auch für länger erhalten: Bin ich bereit, dieses Kleidungsstück durch mein Leben zu tragen?

In eigener Sache:

Gewissensfrage
Passend zum Thema wurde dieses Foto zweitverwertet. Es stammt ursprünglich aus dem Shooting zum Thema Muster-Männer. Foto: Marcel Scheid

Um Style Statements wird es aus besagtem Grund (Umzug) etwas stiller zum Jahresausklang. Der Umzug wirbelt einiges durcheinander. Im neuen Jahr geht’s dann mit neuen Beiträgen weiter. Ideen gibt es viele. Ich danke euch für eure Leser-Treue.