Männermode Kleidergrößen
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Beim Zurückschicken von Paketen sind die Deutschen Europa-Meister. Besonders häufig retournieren sie Kleidung – oft, weil Online-Händler kaum Hilfe beim Finden der passende Größe bieten. Dabei gibt es schon längst kluge Konzepte, Kunden die virtuelle Anprobe zu erleichtern. Die Umsetzung indes passt geich an mehreren Stellen nicht.

Das lang ersehnte Paket ist da. Schnell in die erste Jeans geschlüpft. Am Hintern zu eng. Sofort die nächste. Viel zu kurz. Auch die dritte mag nicht passen. Gleiches gilt für die vierte und fünfte. Am Ende steht ein frustrierter Kunde vor dem Spiegel. Wie kann das sein, dass fünf Jeans der gleichen Größe völlig unterschiedlich ausfallen – und letztlich doch keine einzige passt?

Mit dem Online-Kauf haben Kunden ihr Päckchen zu tragen: Mehr als 15.000 unterschiedliche Marken – und ihre unterschiedlichen Größen – verzeichnen Start-ups, die Kunden bei der virtuellen Anprobe behilflich sein wollen, in ihren Datenbanken. Da die passende Größe zu finden, gerät quasi zum Glücksspiel. Vor allem mit den derzeit dürftigen Hilfestellungen vieler Online-Händler.

Bereits jedes fünfte Kleidungsstück kaufen die Deutschen im Internet, hat das Textilpanel der Gesellschaft für Konsumforschung ergeben. Bei Kleidungsstücken wie Blusen oder Anzüge, die perfekt sitzen müssen, vertrauen sie indes doch eher auf den stationären Handel. Warum gibt der Online-Handel hier so wenig Hilfestellung? Woran hapert die Umsetzung guter Online- Großenberater, die schon längst existieren?

Ein solcher ist zum Beispiel das Berliner Start-up „UPcload“: Der Kunde stellt sich in schwarzer Kleidung mit einer CD in der Hand vor einer weißen Wand. Mittels Webcam wird er vermessen, die CD dient dabei als Referenz für die Größe. Das schwedische Start-up „Virtusize“ geht einen anderen Weg: Liebäugelt eine Online-Kundin zum Beispiel mit einer schönen Lederjacke, kann sie diese einfach mit einer bereits gekauften Lederjacke, die zu Hause im Schrank hängt, virtuell „übereinanderlegen“. Dazu muss sie nur die Länge und Breite ihrer bestehenden Jacke messen und kann diese mit den Maßen der gewünschten Jacke vergleichen. Beide Kooperationen sind inzwischen bei den großen Online-Händlern laut den Start-ups beendet.

 

Problemzone Nummer Eins: zu komplizierte Konzepte

„Das Online-Tool hat sich leider nicht in der Praxis bewährt. Für Kunden war es leichter, zwei Größen zu bestellen, als extra aufzustehen und sich aufwändig zu vermessen“, berichtet Steffen Poralla von UPcload. „Wir nutzen UPcload jetzt nur noch für kleinere Stores, die Kleidung nach Maß, wie Anzüge oder Maßhemden, anbieten. Hier sind Kunden eher bereit, sich exakt vermessen zu lassen.“ Auch Virtusize, die mit dem deutschen Ableger des britischen Online-Mode-Händlers ASOS zusammengearbeitet haben, bieten ihr Online-Tool derzeit nicht mehr auf dem deutschen Markt an.

 

Problemzone Nummer Zwei: zu bequeme Kunden

Wir haben festgestellt, dass speziell der deutsche Kunde nicht sehr interessiert an den Vorteilen von Virtusize war“, berichtet CEO Gustaf Tunhammar aus Stockholm. Er vermutet, weil Kunden hierfür extra ein Maßband benützen mussten. Dazu haben viele Kunden aber keine Lust. „Die Leute haben ja auch keine Schneider-Ausbildung“, meint Jürgen Müller, Fashion-Business-Experte und Blogger.

Der Deutsche ist für den Online-Handel ein schwieriger Kunde: Die Deutschen sind Rekord-Meister im Retournieren. Keine andere Nation in Europa schickt mehr Pakete zurück. Besonders hart trifft es die Mode-Branche. Hier kann man davon ausgehen, dass 50 Prozent aller Kleidungsstücke zurückgesandt werden. Eine Zahl, die beim Börsengang von Zalando 2014 durchgesickert ist. Die Erklärung hierfür ist die jahrzehntelang gelernte Zurücksendepraxis durch Versandhäuser wie Otto, Quelle und Neckermann. Hinzu kommen ein europaweit besonderes großzügiges Rückgaberecht – und der Werbeslogan, mit dem Marktführer Zalando 2008 an den Start gegangen ist: „Schrei vor Glück – oder schick’s zurück.“ Den letzten Teil hat Zalando mittlerweile getilgt. Er hat sich zu eine Art Geburtsfehler des Online-Modekaufs entwickelt: So hat das EHI Retail Institute einmal die Retourenquote von Konsumelektronik und Kleidung verglichen: bei Mode beträgt die mehrheitliche Retourenquote 50 Prozent – bei Konsumelektronik gerade mal 10 Prozent.

 

Problemzone Nummer Drei: zu billige Kleidung

Björn Asdecker von der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg schaut sich seit Jahren die Retourenpraxis an. Bei Kleidung hätten Online-Händler und -Kunden besonders ein Problem: „Unsere Kleidung wird mittlerweile oft von Nähern am anderen Ende der Welt unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt. Sogar ein- und dieselbe Größe eines T-Shirts der gleichen Marke kann unterschiedlich aufallen. Man muss sich fragen: Wo hat der billige Preis sein Maß?“ Zudem hat in der Mode-Branche der Wettbewerb wahnsinnig zugenommen „es gibt ein Überangebot, das zu einer Vermassung geführt hat, die der Branche insgesamt nicht gut tut“, sagt Branchen-Experte Jürgen Müller. Es gibt also zu viel und zu billige Kleidung.

Eine Retoure kostet umgerechnet 1,50 bis 2 Euro pro Kleidungsstück, hat die Forschungsgruppe Retourenmanagement errechnet. Nicht selten werden die Retouren in osteuropäische Nachbarländer gefahren, wo die Personalkosten billiger sind. Was da als CO2-Bilanz pro Paket zusammenkommt, kann Asdecker nicht sagen. Dazu gebe es leider keine Zahlen. Zwei Euro pro Kleidungsstück klingen im ersten Moment viel. Auf die Marge hochgerechnet, sei dies aber nicht teuer, entgegnet Asdecker. „Die großen Online-Händler preisen die Retourenquote einfach mit ein und rechnen sie auf alle Kunden um.“ Somit bezahlen wir alle für die hohe Retourenrate den Preis. Dieser fällt nur nicht so stark auf, weil Kleidung so billig geworden ist.

 

Problemzone Nummer Vier: zu wenig Innovationsdruck

Der Online-Handel für Mode wächst und wächst. Online-Händler versuchen dem stationären Handel mehr Kunden abzuluchsen – und die wollen im Internet kostenlose Retouren als Vertrauensvorschuss, damit sie auf den Kauf-Button klicken. An dem Prinzip der hohen Retouren werde sich so lange nichts ändern, bis die wachsende Branche zu einer stagnierenden Branche geworden ist, prognostiziert Björn Asdecker. „Je gesättigter der Markt, desto wichtiger wird auch die Auseinandersetzung mit den Retourenkosten.“ Björn Asdecker zeigt sich aber optimistisch: „Mittelfristig wird die Branche nicht um intelligente Lösungen herumkommen.“ Schon jetzt binden viele Online-Händler die Rückmeldungen von Kunden in der Produktbeschreibung ein – und testen Online-Tools, die dem Kunden nicht zu viel Aufwand abverlangen. Ein solches bietet das Berliner Start-up Fit Analytics: Hier können Kunden ihre Größe, ihr Gewicht und das gewünschte Fitting (eng oder locker) angeben und dann sehen, welche Kleidergröße andere Kunden mit ihren Maßen gekauft – und nicht retourniert – haben.

Anmerkung: Dieser Artikel erschien zuerst auf Spiegel Online.