Kaum jemand bringt das Problem unseres enormen Modekonsums so gut auf den Punkt wie Hasan Minhaj. Wer seine Netflix-Dokumentation noch nicht kennt: Absolut sehenswert! Darin führt uns der Comedian die hässliche Seite unserer schönen Shopping-Lust vor – und uns vor Augen, wie wir getrieben von Trends und Kollektionen gar nicht anders können als zu kaufen. Doch natürlich gibt es auch Alternativen, verantwortungsvoll zu konsumieren – und sich fürs Shoppen NICHT schämen zu müssen. Diese erfahrt ihr hier auf Style Statements.

Zwei Wahrheiten zu Beginn: Sitzt du im Billigflieger, haben deine Kleidungsstücke im Koffer eine miesere CO2-Bilanz als dein Flugticket. Und: die „Nachhaltigkeitsprogramme“ der großen Fast-Fashion-Ketten sind angeblich eine Mogelpackung. Zwei Details aus der wirklich Augen öffnenden Dokumentation von Hasan Minhaj, aktuell zu sehen auf Netflix. Selbst als Modeexperte war ich geschockt, was der US-Amerikaner mit indischen Wurzeln hier zutage fördert. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass:

  • Viskose, hergestellt aus Holzstoff, ähnlich negative Auswirkungen auf die Umwelt hat wie Polyester (hergestellt aus Erdöl, hier mein weiterführender Blogbeitrag). Der Grund dafür ist, dass die Holzstoffe zu einem Drittel aus Abholzungen von natürlichen Urwäldern und Regenwäldern stammen – und nicht von nachwachsenden Rohstoff-Plantagen (Quelle: Al Jazeera).
  • Fast-Fashion-Kleidungsstücke bestehen teilweise aus 96 Prozent Polyester, Polyamid und dem anderen Plastikmüll – und nur zu 4 Prozent aus Wolle. Sie sind damit das textile Pendant zur Strohhalm-Limonade aus dem Supermarkt: 4 Prozent Orangensaft, der Rest ist Zucker und Wasser. Sprechen wir es deutlich aus: Eine Verarschung des Verbrauchers!

Die Fakten für Shopping-Scham

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Hasan Minhaj führt uns sehr transparent vor, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass wir uns so vor den Karren der Fast-Fashion-Industrie haben spannen lassen. Und um im Bild zu bleiben: Ein Karren, der ziemlich im Dreck liegt. Wollen wir ihn da mal wieder gemeinsam rausziehen! Die Textilindustrie verursacht mehr CO2 als der Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Sollten wir deshalb nun nach der Flug-Scham und Fleisch-Scham auch eine Shopping-Scham entwickeln, wie es einige Umweltschützer fordern? Nun hört es aber mal auf!, wird so manche/r rufen. Auch ich will mir das Shoppen nicht nehmen lassen. Aber:

Wenn jeder von uns seine Kleidung nur neun Monate länger trägt, verringert das die CO2-Bilanz dieses Kleidungsstücks gleich um 30 Prozent.

30 Prozent! Fast ein Drittel also. Da sind wir aber noch lange nicht. Hasan rechnet vor, wie tatsächlich der aktuelle Stand in den USA ist – und er deckt sich sehr gut mit dem unsrigen in Deutschland (siehe meinen Beitrag Darf ich ein T-Shirt für 1,50 Euro kaufen?):

In den 1980ern kaufte ein US-Amerikaner ungefähr 12 Kleidungsstücke im Jahr. Heute kauft ein Amerikaner im Schnitt 68 Kleidungsstücke pro Jahr.

Das sind 56 Kleidungsstücke mehr. Da kommt ein gewaltiger Kleiderberg zusammen, der genährt wird durch unseren Wunsch gut auszusehen, dazu zugehören und begehrenswert zu sein.

Warum wir so viel konsumieren

Shopping-Scham
Foto: Unsplash, Dieter de Vroomen

Und diese Begierde wird durch einen Teufelskreis aus folgender Kette gefüttert:

  • Luxusmarken nähren beständig unseren Wunsch nach Neuem. Aktuell sind es die gehypten Turnschuhe, für nicht selten über 800 Euro.
  • Getragen werden diese Schuhe dann von Vorbildern wie Popstars, Schauspielern und Influencern auf dem Roten Teppich und im Internet.
  • Fast-Fashion-Marken (mittlerweile gibt es sogar Ultra-Fast-Fashion) greifen diese Trends auf – und bringen nur wenige Tage später Trend-Teile für einen Bruchteil des Preises in die Läden. Keine Kopien, sondern „Interpretationen“ mit Abwandlungen, die das Verbot durch das Urheberrecht entsprechend umschiffen. Ein Beispiel hierfür ist ein Kleid von Kim Kardashian von einer Luxusmarke. Nur 24 Stunden später hing es bei einem einschlägigen Fast-Fashion-Anbieter im Laden – und war im Nu ausverkauft.

„Wir möchten das Gefühl von Luxus, sind aber nicht bereit den Preis zu zahlen.“

Sagt Hasan. Ein Blick auf den deutschen Markt gibt ihm recht: Rate mal, wer in Deutschland am meisten Männermode verkauft. Es ist H&M (Quelle: Euromonitor 2018). Und rate mal, welcher Konzern auf dem deutschen Modemarkt am meisten Profit erzielt: TK Maxx (Quelle Handelsblatt). Das US-Unternehmen punktet genau mit dieser widersprüchlichen Moral: Das Maximum an Kleidung zum Minimum des Preises. Und wozu das alles?

„50 Prozent ihrer Kleidung tragen US-Amerikanerinnen weniger als dreimal.“

Sagt die Dokumentation. Ähnliche Zahlen gibt es für Deutschland:

„40 Prozent der produzierten Ware wird überhaupt nicht verkauft und nicht getragen.“

Das sagt der Textilingenieur Kai Nebel von der Fachhochschule Reutlingen, die Textilien erforscht (Quelle Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im Artikel „Die Welt trägt Plastik“).

Shopping-Scham
Foto: Unsplash, Jade Aucamp

Ein Kleidungsstück dreimal zu tragen, ist ein Verbrechen an der Allgemeinheit und an unseren Planeten. Ja, in diesem Fall sollten sich diese Menschen tatsächlich für ihr Shopping-Verhalten schämen. Das hat absolut nichts mehr mit Nachhaltigkeit und Verantwortung zu tun. Denn ein solches Verhalten ist zutiefst egoistisch, da es billigend in Kauf nimmt, dass Menschen am anderen Ende dafür einen teuren Preis bezahlen (siehe mein Bericht zur Fast-Fashion-Ausstellung in Berlin). Das ist für mich wirklich das Pendant zum wöchentlichen Billigflug ans Mittelmeer oder zum täglichen Fleischkonsum der 1,99-Euro-Billigfleischware.

Im US-amerikanischen Fernseh-Sender Bloomberg sagt es die Moderatorin ganz deutlich:

„Die einzigen Modehändler, die diese extreme Nachfrage befriedigen können, zu einem Preis, den sich jeder leisten kann, sind im Moment H&M und Zara.“

Warum ich als Modeblogger über Shopping-Scham schreibe

Wenn du dich jetzt fragst, warum ich das hier als Modeblogger so deutlich schreibe, wo ich doch vor einigen Wochen noch über Trends berichtet habe – dann hier die Antwort: Fast-Fashion zerstört nicht nur unser intaktes Klima, es zerstört auch die Modebranche selbst. Denn der enorme Kleider-Kreislauf geht zu Lasten etablierter Marken, die ich wirklich schätze. Vor allem die Marken im mittleren Preis-Segment, die sich jahrelang auf den deutschen Markt konzentriert haben, können dieses Tempo nicht mithalten. Es trifft mittlerweile so gut wie alle Marken. Hasan erklärt, dass der Gründer von Inditex (darunter Marken wie Zara, Bershka und Massimo Dutti) mittlerweile der siebreichste Mann der Welt ist. Das heißt: Millionen – vielleicht sogar Milliarden – Kunden weltweit finanzieren mit Millionen und Milliarden den astronomischen Reichtum eines einzigen Mannes.

Und auch uns selbst wird bei diesem Konsum ganz schwindelig. Muss es denn immer ein neues Outfit für Instagram sein? Selbst die englische Königin trägt ihre Kleidung mehrmals!

Die Konsequenzen: So shoppst du ohne Scham

Shopping-Scham
Foto: Unsplash, Taras Chernus

Puh, ganz schön viele Argumente FÜR eine Shopping-Scham. Doch ich bin dagegen, diese zu verallgemeinern. Ich bin vielmehr dafür, die RICHTIGEN Kleidungsstücke zu kaufen. Smart zu shoppen. So kannst du beides – Klimaschutz und Shopping-Lust – tatsächlich verbinden:

  1. Kaufe nicht nur neu, sondern mindestens ein Teil gebraucht. Gut eignen sich hierfür Accessoires, die du auf eBay findest. Auf eBay-Kleinanzeigen kannst du zum Beispiel sehr gut Designer-Sachen kaufen, die Menschen geschenkt bekommen haben und nicht behalten wollen. Taschen gibt es hier beispielsweise zum unschlagbar günstigen Preis! Auch Lederjacken in guter Qualität gewinnen als Second-Hand-Piece an Patina.
  2. Mit jedem Euro unterstützt du das System deiner Wahl: Willst du die Fast-Fashion-Industrie weiter nähren, oder Vielfalt und den heimischen Markt unterstützen? Will heißen: lieber einen Pullover einer etablierten europäischen Marke als zwei Billig-Pullover aus dem Fast-Fashion-Segment.
  3. Vermeide Polyester als Stoff für Kleidung. Es besteht im Grunde aus Erdöl, setze lieber auf natürliche Materialien. Auch Viskose solltest du meiden und Hemden aus reiner Baumwolle bevorzugen.
  4. Trage deine gekaufte Kleidung! Stücke weniger als dreimal zu tragen, ist rausgeschmissenes Geld und ein Verbrechen an die Umwelt und die Menschen, die das Stück produziert haben.
  5. Verschenke deine nicht mehr genutzte Kleidung an Freunde oder verkaufe sie im Internet. Alles, was weiter getragen wird, ist besser als die Kleidung wegzuschmeißen (sie wird verbrannt) oder in den Altkleider-Container zu stecken (hier wird sie weiterverkauft und in Afrika verbrannt, weil es einfach viel zu viel Kleidung gibt).
  6. Baue dir eine Basisgarderobe auf: Mit Kleidungsstücken, die du gern trägst und vielseitig untereinander kombinieren kannst. Was da rein gehört, verrate ich dir in meinem Beitrag Capsule Wardrobe.
  7. Setze mehr auf zeitlose Kleidungsstücke, an denen du länger als eine Saison deine Freude hast. So genannte Klassiker der Herrenmode kommen niemals aus der Mode. Das fängt bei Schuhen wie Chucks/Converse an, geht über die gut sitzende Jeans über zur Lederjacke oder zum blauen Sakko. Schau auch hier gern in meinen Blogpost-Basisgarderobe oder auch auf die Tipps, die Mode-Designer Tom Ford uns mitgegeben hat.
  8. Lese Style Statements, um zu erfahren welche Trends länger Bestand haben. So kannst du deine Garderobe langfristig aufbauen, trägst Trends als Erster – und kannst tatsächlich mehrere Saisons up-to-date sein.
  9. Lass dich von Trends inspirieren, lass aber auch Trends mal aus, wenn sie nicht in deine Garderobe passen. Ich stelle fest, dass auf Instagram diverse Blogger alle gleich aussehen. Sie alle tragen die gleichen Bulky Sneaker, knöchelfreien Hosen, Oversized-Shirts – und sehen am Ende wie geklont aus. Style heißt für mich Individualismus – also bleib dir treu und entwickle deinen eigenen Stil.
  10. Kaufe mehr Green Fashion – nachhaltige Mode; auch für Männer gibt es hier mittlerweile diverse Marken. Wenn dich das interessiert, dann schreib mir mal einen Kommentar hier unten und bei mindestens 10 Kommentaren unter diesem Beitrag, stelle ich für euch die schönsten Green-Fashion-Marken für Männer vor.

Hasan Minhajs Dokumentation könnt ihr auch ohne Netflix nachschauen. Auf YouTube ist seine Folge (Stand Februar 2020) noch zu sehen: