
Älterwerden betrifft uns alle, wir können es nicht wegschieben, wegcremen oder sogar wegschnippeln. Irgendwann kommt es auf jeden zu. Zeit, sich also mit dieser letzten Phase des Lebens mehr zu beschäftigen. Wie Männer stilvoll älter werden, hat die sehenswerte Ausstellung „Die Kraft des Alters“ im Wiener Belvedere gezeigt. Noch schöner der englische Titel: „Age Pride“. Doch es gab auch eine Warnung an die Besucher.
Vier alte Männer mit langem Rauschebart stehen auf einer Anhöhe. Der Körper an langen Gehstöcken aufrecht gehalten, die Hände vom Alter gezeichnet, die Wangen von der Kälte rosig und von der jahrzehntelangen Arbeit in der rauen Natur faltig. Karl Mediz Bild „Die Eismänner“ (1902) hängt direkt neben der Eingangstür. So stellt man sich als Besucher das Alter vor – so wie zwei Bilder weiter hingegen nicht…
Altersbejahung statt ewige Jugend

Dort sitzt 110 Jahre später ein wild tätowierter alter Mann 2012 Porträt für die Fotokamera der iranischen Künstlerin Shirin Neshat. Die Hände ruhen auf dem Schoß, die Augen gucken gütig und gleichzeitig selbstbewusst in die Kamera. Und über die Brust jagt eine Armee eintätowierter osmanischer Reiter. Ja, auch so können Männer stilvoll älter werden: wild und gleichzeitig würdevoll.
Die Ausstellung „Die Kraft des Alters“ im Belvedere in Wien führte schnell vor Augen: Wir müssen als Gesellschaft unser Bild vom Älterwerden dringend ändern. Wir sollten diskutieren, wie wir diese letzte Phase des Lebens wieder mehr in unser aller Alltag integrieren. Denn dieser ist vorrangig von jungen Menschen dominiert. Ältere Menschen leben zurückgezogen in ihren Wohnungen oder sogar weggesperrt in Altenheimen. Deshalb kann es gar nicht genug Ausstellungen übers Älterwerden geben – deshalb betrübt, dass die Ausstellung die erste und somit einzige ihrer Art in Österreich ist, wie der Ausstellungsführer verrät.
„Alter wird gegenwärtig nicht als natürlicher Lebensabschnitt wie Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter erfasst“

Ob in Österreich oder Deutschland: Schlaffe Haut, dicke Bäuche, Altersflecken und Haare an den falschen Stellen erzeugen bei vielen ein Unwohlsein. Erst Recht das Thema Sex im Alter. So warnt die Ausstellung auch am Anfang Familien mit Kindern, dass die Bilder verstören können. Es ist paradox: noch nie gab es so viele alte Menschen in unseren Gesellschaften in West-Europa – und trotzdem klammern viele Menschen das Thema aus. „Alter wird gegenwärtig nicht als natürlicher Lebensabschnitt wie Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter erfasst“, kritisiert die Kuratorin Sabine Fellner der Ausstellung.
Erkenntnis Nr. 1: Wir täten gut daran, das Älterwerden als natürlichen Lebensabschnitt wie Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zu akzeptieren.
Wir haben uns als Gesellschaft vom Älterwerden entfremdet. Älterwerden kommt in unseren Medien kaum vor. Eine Sackgasse, wie wir beim täglichen Blick in den Spiegel doch ahnen: Was man nicht kennt, macht Angst. Älterwerden macht uns Angst. Also greifen wir für den Jungbrunnen in Cremetiegel, zu Hyaluron- und Botox-Spritzen oder sogar für die ewige Schönheit zur Variante Schönheitsoperation.
Vor allem die Frauen trifft es hart, weshalb zu verzeihen ist, dass diese in der Ausstellung überproportional repräsentiert sind. Denn die weibliche Identität ist sehr von ihrem physischen Erscheinungsbild geprägt, schreibt die Ausstellung gleich auf einer der ersten Erklärtafeln. Noch im Flieger nach Wien las ich im SPIEGEL ein Interview mit der französischen Schriftstellerin Virginie Despentes über die #MeToo-Debatte in Frankreich und die Aussage der Interviewpartnerin: „In Frankreich hassen wir alte Frauen, und ab 40 gehört man hier zu den Alten.“
Männer streben nach ewig währender Viralität und ängstigen sich vor dem Kraftverlust.
Und die Männer? Sie streben hingegen nach ewig währender Viralität und ängstigen sich vor dem Kraftverlust. Ich empfehle an dieser Stelle meine Styling-Tipps und die Tom-Ford-Liste 15 Dinge, die jeder Mann besitzen sollte. Und auf Spiegel Online ist derzeit noch mein Artikel zum Thema Altersgerecht Kleiden nachlesbar. Werbeblock Ende.
Erkenntnis Nr. 2: Für Männer: Der Kraftverlust kommt. Aber an die Stelle kommt etwas anderes. Abschied also vom Boy-Sein.
Älterwerden ist ganz natürlich: ein biologisches Phänomen, wie es alle Lebewesen trifft. Wir blühen auf und wir verblühen. Davon losgelöst ist Älterwerden aber nicht nur ein biologisches Phänomen, sondern gleichzeitig ein kulturelles Konstrukt, sagt die Kuratorin Sabine Fellner der Ausstellung. Unser Bild vom Alter und damit letztlich unser Selbstbild vor dem Spiegel ist kulturell, nicht biologisch geprägt.
Ein Konstrukt, das wackelt. Denn wir besetzen das Alter zu sehr mit Defiziten, mit Abbau von Leistung und letztlich mit Zerfall. In unserer auf Leistung gepolten Gesellschaft haben schwache Menschen, die weniger leisten können, keine Rolle.
Dabei gäbe es Alternativen. Die eine: Vorbildliche Männer und Frauen suchen, die würdevoll altern. Die auch im Alter für eine gute Haltung und einen guten Umgang mit sich selbst stehen. Die Ausstellung zeigt hier vor allem die starken Frauen: Simone de Beauvoir, Susan Sontag, Meret Oppenheim.
Erkenntnis 3: Auch Erwachsene können sich an Vorbildern orientieren. Wer steht für dich noch im Alter für eine gute Haltung und einen guten Umgang mit sich selbst?
Die andere: Altersbejahung statt das Hinterher-Rennen nach ewiger Jugend. Wenn das Alter sowieso kommt, warum nicht dazu stehen? Die Falten mit Stolz tragen! Sie stehen für ein lang gelebtes Leben. Lachfalten sogar für einen Menschen, der besonders viel und gerne lacht.
Erkenntnis 4: Das Alter kommt sowieso. Warum also nicht dazu stehen und die Falten mit Stolz tragen. Sie stehen für den Erfahrungsschatz im Leben.
Die ausgestellten Künstler sind vielfältig: von bekannten österreichischen Namen wie Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Gustav Klimt bis hinzu weniger bekannten – die aber nicht minder wichtige Arbeiten versammeln.
Die Performance-Künstlern Martha Wilson stellt das Thema mit Witz und Humor zur Diskussion. Sie zeigt ihr faltiges Gesicht total glatt gebügelt – aber nicht mittels Photoshop oder Schönheits-OP, sondern indem sie sich kurzerhand für das Foto auf den Kopf stellt und damit alle altersbedingt die nach unten hängenden Gesichtspartien „strafft“.
Gänsehautmomente angesichts der alten Haut
Gänsehautmoment im zweiten Raum: Roman Opalka hat sich in seinem Alterungsprozess festgehalten. Er lebte von 1931 bis 2011. An der Wand hängen fünf Porträts von ihm – jedes zeigt ihn um ein paar Jahre deutlich gealtert. Auf den Bildern zeigt sich ein Mann, der immer mehr Falten und immer weniger Haare hat. Dessen Mundwinkel hängen und dem von Bild zu Bild die Kraft entweicht.

Die Ausstellung, die bis zum 4. März 2018 zu sehen war, sparte kein Thema aus: Einsamkeit im Alter, Pflege durch Roboter, weil die nahen Angehörigen fehlen – all das kam ebenfalls zur Sprache. Es ist das, was viele mit dem Älterwerden asssozieren. Ausschließlich. Dabei hat Älterwerden auch seine positiven Seiten: neue Freiheiten im Alter jenseits von Konventionen und Dresscodes zum Beispiel. Einfluss, Erfahrung, Lebenslust, Würde und letztlich den Triumph über die gesellschaftliche Produktivität. Jetzt habe ich geleistet – jetzt kann ich mich zurückziehen und die Zeit für mich anderweitig nutzen. Deshalb der Titel „Die Kraft des Alters“.
Erkenntnis 5: Älterwerden hat auch positive Seiten: mehr Einfluss, mehr Erfahrung, mehr Würde und letztlich den Triumph übr die gesellschaftliche Produktivität.
Jürgen Teller, den Berliner bereits aus seiner Ausstellung aus dem Martin-Grophius-Bau kennen, war ebenfalls in der Ausstellung vertreten. Auch hier zeigte er wieder seine nackte Vivienne Westwood: breitbeinig sitzt die damals 68-jährige Modeschöpferin auf einem geblümten Sofa, präsentiert ihr karottenfarbiges Haar – oben wie unten. Die Modeschöpferin provoziert, so viel schamlose Nacktheit mit Schamhaaren eckt an.
Es ist Tellers Leitmotiv in seinen Werken, die perfekte Schönheit im Unperfekten zu offenbaren: Auch in seinen Mode-Shootings zeigte er bewusst die Hautunreinheiten, Pickel und teils sogar Narben seiner Models.
Welche Wucht das hat, bewies der letzte Raum der Ausstellung: Die bekannte britische Schauspielerin Helen Mirren sitzt 2009 in der Badewanne. Der nackte Busen ragt aus dem Wasser, die nassen Haare im Wet-Look nach hinten. Helen Mirren ist da 64. Verletzlich, ernst aber auch selbstsicher blickt sie in diesem intimen Moment des Badezimmers in die Kamera – und gleichzeitig sieht sie würdevoll und schön aus. Auch so kann Älterwerden aussehen: schön.
Hier ein weiterführender Link auf die Arbeiten von Jürgen Teller:
Unteres Belevedere
Rennweg 6A, 1030 Wien,
bis 4. März 2018
https://www.belvedere.at
Beim Schreiben des Artikels musste ich an meine verstorbene Großmutter Annemarie denken; der noch auf dem Sterbebett von ihren beiden Töchtern bescheinigt wurde, eine schöne weiche Haut zu haben. Sie hat Zeit ihres Lebens nur die Creme aus der berühmten blauen Dose benutzt.