Warum berichtet ein Mode-Blogger über einen Mode-Blogger? Weil Scott Schuman nicht irgendein Mode-Blogger ist. Er ist der Mode-Blogger. Der US-Amerikaner hat den Street Style von der Straße auf die Laufstege geholt, sein Mode-Blog „The Sartorialist“ – ein Wortspiel in Anlehnung an die Schneiderkunst der Anzugmacher – zählt zu den meistgelesenen Mode-Blogs der Welt. Und seine Bildbände von Street-Looks rund um den Globus verkaufen sich stets als Bestseller! Sein neuestes Buch versammelt als Inspirationsquelle nicht nur beeindruckende Männer-Looks; hier verrät der Mittfünfziger auch seine Styling-Tipps für Männer. Und er feiert den Stil der bestangezogenen Männer, die ihm seit 2005 vor die Linse gekommen sind.
Unheimlich kalt lassen mich diese Saison die brandneuen Fashion-Magazine der Männermode. Die Trends bieten wenig Neues oder Bahnbrechendes. Stattdessen Altbewährtes: Karo, Leder, Erdtöne – welch Überraschung für die beginnende Herbst-/Winter-Saison. Ironiemodus aus. Umso glücklicher stimmte mich die Lektüre von Scott Schumans „The Satorialist Man“. Beim Durchblättern am Esstisch stand ich mehrmals auf, rannte zum Kleiderschrank, zog Pullover und Schals aus den Fächern, legte ungewohnte Farbkombinationen übereinander, inspiriert von den Street Style Looks des New Yorkers. Band mein Seidentuch einer bekannten Pariser Marke zum Nicki-Tuch, fand heraus, wie gut mir ein T-Shirt im Beerenton zu einer Petrol-Strickjacke steht.

Scott Schuman hatte es geschafft, mir die Lust auf Mode wieder einzuflößen. Denn anders als die Fashion-Magazine der Saison sind Scott Schumans Styling-Tipps jahrzehntelang gereift und überdauern auch den nächsten (hoffentlich kurzen) Winter. Und: Sie zeigen eine authentische Vielfalt, die keine Marke so je erschaffen kann, wie selbst Pierpaolo Piccioli, Designer von Valentino, im Vorwort anerkennend feststellt. Lasst uns deshalb direkt in die Welt von Scott Schuman eintauchen:
„Hier geht es nicht um die Bewertung von trendigen Kleidungsstücken, sondern darum, sich an Mode zu erfreuen und sich damit auszudrücken.“
Das schreibt Scott Schuman zu Beginn. Er möchte keine Regeln auflisten, sondern eher „Prinzipien“ zeigen, die Männer unterstützen, selbstbewusste Entscheidungen beim Kleiderkauf zu treffen. Außerdem verrät Scott, wann für ihn ein Look gelingt. Eine Analyse, die seine Zeit brauchte. Angefangen hatte alles mit 15 in Indiana, wo ihm ein stilvoller Herr im Armani-Anzug über den Weg lief.
Wir aber beginnen mit dem Lunch, den Scott Schuman alljährlich zur Pitti Uomo gab, der wichtigsten Modemesse für Männermode in Florenz. Jedes Mal lud er 25 seiner stilvollsten Freunde an den Mittagstisch. „Ich achtete darauf, dass jeder Mann eine bestimmte Art von persönlichem Stil repräsentierte, von klassisch bis avantgardistisch.“ Die Mittagessen seien seine Inspiration gewesen, erinnert er sich. Auch die Gäste nahmen bereichernde Momente mit, als sie mit so unterschiedlichen Männern am Tisch saßen. So kommt der Appetit auf Mode und Stil gleich auf der nächsten Doppelseite.
1. Am wichtigsten: die richtige Passform
Scott Schuman ist stets tadellos gekleidet. Mit Vorliebe trägt er klassisch geschnittene Anzüge. Diese kaschieren seine geringe Körpergröße. Steht er neben Models, wirkt der US-Amerikaner erstaunlich zwergengleich. Es steht zu vermuten, dass er deshalb die ideale Passform an den Anfang seines Buches stellt. Sie ist besonders für kleine Männer wichtig, die in zu weit geschnittener Kleidung noch mehr versinken. Doch egal, ob groß gewachsen oder klein geraten: Die richtige Passform ist in jedem Fall der Schlüssel zu einem guten Style. Sie trägt dazu bei, die Vorzüge hervorzuheben und die Problemzonen zu verdecken. Hierzu folgende Tricks:

- Betont eure schmalsten Körperstellen: Das könnt ihr mit frei liegenden Knöcheln sowie mit taillierten Sakkos oder mit Karo-Mustern, die den Blick auf eine schmale Stelle lenken.
- Der Mann im navyblauen Zweireiher-Sakko macht es vor: Das taillierte Sakko lenkt den Blick auf seine schmale Taille und betont seine V-Figur. Wie kaum ein anderes Kleidungsstück bringt das Sakko die idealtypische Figur des Mannes zur Geltung: kräftige Schultern, schmale Taille und schlanke Hüften. Das Sakko oder Jackett gehört damit zur Basisgarderobe eines jeden Mannes. Ich empfehle dir, ein navyblaues Sakko zu kaufen. Dieses kannst du zu vielen Anlässen anziehen und sowohl im Alltag als auch im Business, als auch am Abend zu einer schickeren Veranstaltung tragen.
- Mein Learning aus Scotts Schumans „The Sartorialist Man“: den navyblauen Zweireiher lässig zu einer weißen Jeans mit T-Shirt tragen. Das Sakko bildet einen reizvollen Kontrast zur sonst eher lässigen Garderobe. Eine weiße Jeans oder Chino kannst du übrigens auch im Winter tragen. Nicht nur in Italien! Sie bricht mit dem dunklen Blau und Schwarz und bildet damit einen schönen Farbkontrast!
Weitere gute Styling-Tricks findest du in meinem Sammel-Beitrag: „Die besten Styling-Tipps“
2. Werde perfekt in der Imperfektion: „Sprezzatura“
Das italienische „Sprezzatura“ meint „ein bisschen abgefahren“. Und Scott Schuman meint damit, den perfekten Look zu brechen und bewusst daneben auszusehen. Ein oder zwei Elemente des Looks dürfen aus der Reihe tanzen. Wie dir das gelingt, zeigt der Herr hier:

- Ich liebe seine silbernen Türkis-Armreifen, die den seriösen Look gekonnt lässig gestalten und dem älteren Herren dadurch etwas jugendlich Rebellisches geben. Sie verleihen dem Look eine weitere Facette. Ein Mitbringsel aus dem Urlaub? Ein jahrzehntelanger Begleiter seit dem Surfbrett? Beachtet ebenfalls den Kragen, der über dem Sakko steht und in seiner Nachlässigkeit eben auch etwas Lässiges hat: I don’t care!
- Auch mit schweren Stiefeln zum Sakko oder sogar Anzug könnt ihr „sprezzatura“ leben. Sie brechen den Business-Look – und wenn sie sogar noch etwas Patina haben, erzählen auch sie eine Geschichte. Nämlich die, dass man(n) auch noch ein Wochenende hat und dort manch Abenteuer erlebt.
3. Monochrome Looks als Krönung

Manche Männer wirken am attraktivsten, wenn sie nur eine einzige Farbe tragen. Zu ihnen gehört der Italiener Domenico Gianfrate, mit dem Scott Schuman befreundet ist und über den ich hier ein eigenes Style-Stalking geschrieben habe. Gianfrate spielt mit den klassischen Farben der Männermode: Blau, Schwarz, Erdtöne – und Weiß. Der monochrome Look gilt als die Krönung der Eleganz, weil er sorgsam zusammengestellt aussieht und den Blick aufs Wesentliche reduziert: auf die Figur und die Struktur. So gelingt der Look:
- Domenico Gianfrate, als Showroom-Besitzer selbst Style-Experte, rät dazu, die Materialien je nach Saison zu kombinieren: Im Sommer feine Materialien wie Baumwolle, Leinen und dünner Strick – im Winter Tweed, Grobstrick und Leder.
- Wähle eine Grundfarbe, die deinem Farbtyp entspricht: Das Weiß sieht nur an einem Italiener gut aus, der jede freie Minute an der Sonne verbringt. Auch die Erdtöne stehen eher Männern mit dunkler Haut. Uns blassen Nordeuropäern stehen hingegen gut die Blau-Töne. Und Schwarz geht im Winter natürlich immer. Hier kommt es aber besonders auf den Material-Mix an. Strick, Leder, Jeans, Kaschmir. Sonst wirkt der Look langweilig! Mehr zum Thema in meinem Extra-Beitrag „Ton in Ton, Männer“
4. Männer, traut Euch Muster
Leoparden-Muster haben nach wie vor etwas Anrüchiges bei Männern. Sie erinnern an Zuhälter, Hamburger Reeperbahn – und passen daher für viele Männer nicht in ihre Garderobe. Zu billig. Zu weiblich! Scott Schuman kontert: Leoparden-Muster ersetzen den Camouflage-Look als Signature-Muster dieses Jahrzehnts! Fang mit einem Leoprint in kleiner Ausführung an. Zum Beispiel als Streifen oder Bauchtasche.
Auch ein bedrucktes Hemd gehört in deinen Kleiderschrank als modebewusster Mann. Ein „Print-Shirt“ macht Sommer wie Winter Eindruck. An warmen Tagen auf der Straße und an kühleren, wenn du dich drinnen Mantel und Strickjacke entledigt hast.
5. Kurz und bündig: Wintershorts für Männer
Zunehmend begegnet uns Sportkleidung auch im Alltag. Mehr zum Athleisure-Trend in meinem Blog-Beitrag. So zum Beispiel die Yogahosen an Frauen. Auch wir Männer können unsere Sportkleidung abseits des Sports auf der Straße tragen. Scott Schumans fotografiert diverse dieser Looks in Metropolen wie Paris oder New York. So gelingt der Look:
- Laufleggins mit Shorts kombinieren. Wähle eine kurze Stoffhose und kombiniere sie mit einer Laufleggins. Dazu derbe Schnürstiefel, weiter Hoodie und Mütze.
- Auch sportliche Materialien wie Nylon-Netzstoff oder Polyamid kommen in die Alltagskleidung. Designer nutzen den Material-Mix für aufregende T-Shirts oder Pullover. Gut so, denn sie machen Kleidung aufregender. Etwas Netzstoff an der richtigen Stelle enthüllt und bedeckt auf geschickte Art. Das steht auch Männer älteren Semesters.
6. Herren im Hoodie

Was im Mittelalter dem Mönch die Kutte mit Kapuze war, das ist heutigen Herren der Hoodie. Bequem ist er, warm hält er und praktisch ist er auch, wenn es mal um die Ohren pfeift. Warum sollte er daher nicht, mit in den Look eingewoben werden! Als Pullover-Ersatz kann er unter einem schicken Mantel hervorschauen. Die Kapuze dazu über dem Mantel tragen. Der Look gelingt mit:
- einem schicken Wollmantel als Kontrast, zum Beispiel in Kaschmir oder Fischgrät-Muster.
- mit einer Bauchtasche lässig über der Brust getragen.
- Von Scott Schuman habe ich gelernt: Lieber beim Hoodie auf die eingenähte Bauchtasche verzichten! Sie betont nur die männliche Problemzone.
7. Das Halstuch ist die Alternative zum Schal
Das Nickituch wirkt subtil, ungezwungen und cool, sagt Scott Schuman. Du kannst es als Alternative zur Krawatte oder zum Schal tragen, um in deinen Look etwas Farbe und Muster zu integrieren. Die Tücher sollten definitiv über 42 Zentimeter lang und quadratisch sein. Sonst wirken sie am männlichen Hals zu filigran. Ich selbst musste das leider feststellen, als ich ein teures Seidentuch einer großen französischen Luxusmarke zum Nickituch binden wollte. Dann bleibt es wohl doch eher ein Einstecktuch. Das Nickituch passt zu folgenden Looks:
- zum V-Pullover-Ausschnitt
- zum Anzug mit T-Shirt
- zum offenen Polo-Shirt
8. Schmuck: Neue Freiheit, meine Herren!
Coco Chanel sagte: „Bevor Sie das Haus verlassen – werfen Sie einen Blick in den Spiegel, und legen Sie eine Sache wieder ab.“ Mehr Modezitate hier. Scott Schuman sagt: „Die Geschlechterfluidität hat die Entwicklung des Männerschmucks derart befeuert, dass er in all seinen wunderbaren Varianten über die gesamte Männerwelt hereingebrochen ist. Viel Spaß mit dieser neuen Freiheit meine Herren!“ Und ich sage: Recht hat er! Traut er an Ringe, an Ketten (auch Perlenketten), an große Armreife und, und, und. Die Kunst ist es, nachher nicht wie ein Weihnachtsbaum auszusehen. Und hier kommt Coco Chanels berühmter Styling-Trick zum tragen. Denn oft weiß man beim Blick in den Spiegel, das „etwas“ zu viel ist. An mir selbst habe ich die Regel, nie mehr als 3 Schmuckstücke zu tragen. Zwei Ringe, eine Kette. Mehr nicht. Meist ist es nämlich dieser dritte Ring oder diese zweite Kette die Cocos „zu viel“ ist.
9. Verwende keinen Trockner!
Scott Schuman sieht nicht nach Wäscheständer neben dem Bett aus. Doch er gesteht: „Ich hänge alle Kleidungsstücke auf.“ Ein Trockner strapaziert die Kleidung mit großer Hitze. Ich bin da ganz seiner Meinung. Die feuchte Wäsche hilft übrigens jetzt im Winter die Luftfeuchtigkeit in der Wohnung angenehm zu steigern. Nicht nur für die Pflanzen, sondern auch für unsere Atemwege und Haut ist eine Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 60 Prozent gesund.
10. Wer nicht wagt, der…

Die wohl wichtigste Lesson aus „The Sartorialist Man“ steht für mich am Ende. Welch Wohlklang aus dem Munde eines der größten Mode-Fotojournalisten:
„Gehen Sie spielerisch vor, mit Genuss. Machen Sie Mode-Fauxpas, probieren Sie Dinge aus und lernen Sie aus Ihren Fehlern. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“