Deutsche Männer werden für den Modemarkt als Kunden immer wichtiger. Mehr noch: Sie werden der Schlüssel zu den Umsatzgewinnen der Zukunft sein. Viele Modehändler haben nur ein Problem: Sie verstehen das nicht. Und statt in präsentablere Flächen für den Männermode-Markt zu investieren, schieben sie Männer in düstere Untergeschosse ab – oder noch schlimmer: lassen diese erst kaum noch vorkommen. Aktuelles trauriges Beispiel: H&M.
Dieser Tage lag der H&M-Katalog in meinem Briefkasten: Die „Neuheiten 2018“. Interessiert schlug ich ihn auf: blätterte durch knapp 60 Seiten Damenmode, 46 Seiten Kindermode, 14 Seiten Home-Produkte. Nur Männermode fand ich nicht. Wie kann das sein, dass einer der größten stationären Händler für Mode in Deutschland die Männer als Zielgruppe komplett außen vor lässt? Vielleicht habe ich ja ein falsches Exemplar bekommen, und es gibt noch extra Kataloge für Männermode. Dann bitte mal in den Kommentaren einen Hinweis geben. Ich selbst habe allerdings auch keinen via Internet-Recherche entdeckt. Anzunehmen ist somit etwas anderes für den Männermode-Markt:
Der Modehandel – insbesondere der stationäre – hat die Männer als Kunden aus den Augen verloren.
Diese Annahme deckt sich mit der Beobachtung, die man(n) dieser Tage beim Bummel durch den Schlussverkauf in der Innenstadt macht. Da werden Männermode-Abteilungen immer kleiner und auf ihr rudimentäres Sortiment reduziert, da laden düstere Untergeschosse oder Männermode-Abteilungen im fünften Stock wahrlich nicht zum Besuch ein. Ich habe das als Journalist schon einmal erlebt – in der Medien-Branche. Auch hier wurden Redaktionen und Zeitungsumfänge mehr und mehr ausgedünnt, um Kosten zu sparen. Mehr neue Leser gebracht hat das meines Wissens alles nichts. Es gibt jetzt schon erste Jahreszahlen, in denen angeblich kein Deutscher mehr eine gedruckte Zeitung lesen wird.
Jetzt werde ich als unabhängiger Blogger nicht für diesen Blog-Beitrag von einer Zeitung bezahlt. Ich bin auch nicht bei H&M als Influencer in finanziellen Diensten und erlaube mir daher, noch mal kritisch das Beispiel einer H&M-Filiale heranzuziehen:
Männermode-Markt: Raffinesse vergeblich gesucht
Es war einmal eine H&M-Filiale auf meinem Weg ins Fitnessstudio. Durch die bin ich sehr oft gegangen, wenn ich zum Sport wollte. Sie war nicht nur eine willkommene Abkürzung, sondern auch stets eine Augenweide, was es Neues in der Männermode gibt. Manchmal zog mich ein Eye-Catcher-Outfit auf einer Schaufenster-Puppe in den Bann und gleich in die Umkleidekabine, manchmal bummelte ich bloß durch die großzügige Herrenabteilung, um die sportliche Anstrengung aufzuschieben.
Dann kam eines Tages anscheinend ein gewiefter Manager und entschied, die Filiale müsste umgebaut werden. Die Herrenabteilung wurde verkleinert, die Kinderabteilung vergrößtert, die Eye-Catcher-Outfits verschwanden – und was blieb, war die bekannte H&M-Einheitsware. Leider ohne viel Raffinesse. Mittlerweile gehe ich nur noch selten in diese Filiale und nehme meist den Weg direkt durch den Haupteingang zu meinem Sportstudio.

H&M ist nicht der einzige Modehersteller, den dieser Tage das selbe Schicksal ereilt, das das Branchenfachblatt TextilWirtschaft als Bilanz von 2017 so zusammenfasst:
Die Kunden sind satt, die Kleiderschränke voll, der Markt ist überbesetzt.
Der Aktie von H&M geht es übrigens auch 2018 nicht wirklich gut, wie Börsenblätter berichten. Der Verdrängungswettbewerb im Modemarkt ist in vollem Gange. Da die Umsätze mit Textilien kaum noch wachsen, geht jedes individuelle Wachstum also auf Kosten von jemand anderen. Meistens sind das: die klassischen Modeläden in den Einkaufsstraßen. Martin Schulte von der Unternehmensberatung Oliver Wyman findet drastische Worte:
Der Textilmarkt ist ein Haifischbecken. Die zahlreichen Insolvenzen und Schieflagen der letzten Jahre haben gezeigt, wie umkämpft der Markt ist.
Die Rettung könnten nun ausgerechnet diejenigen sein, die im mir zugeschickten H&M-Katalog nicht vorkommen: die Männer. Zwar macht Frauenmode zirka zwei Drittel des Branchenumsatzes aus, der Männermode-Markt nur ein Drittel – aber die Frauenmode steht bei sinkender Tendenz, wie die Welt vermeldet. Demgegenüber steigt das Geschäft mit Männermode seit 2010 allerdings konstant. Knapp 15 Milliarden Euro haben deutsche Geschäfte zum Beispiel im Jahr 2016 mit Männermode umgesetzt. Das heißt also:
Männermode-Umsätze steigen – Damenmode-Umsätze gehen zurück.
Oder um es in den Worten der Studie Textilmarkt 2020 der Strategieberatung Oliver Wyman auszudrücken:
Der Modemarkt verschenkt damit zwei Milliarden Euro.
Das betrifft leider Männer aller Altersgruppen. Zu den älteren Männern und den Auswirkungen der demographischen Entwicklung in Deutschland („immer mehr Ältere“) kommen wir gleich – doch hier behandeln wir zuerst die Männer aus den Städten, die zwischen 18 und 34 Jahren alt sind. Sie äußern sich so unzufrieden wie keine andere Zielgruppe, verrät die Studie. Wenn es um interessante Schnitte, Passgenauigkeit und Produktpräsentation geht, sind sie es leid in Untergeschosse abgeschoben zu werden. Michael Gerlin vom Kölner Handelsforschungsinstitut sagt:
Der Fachhändler in der Innenstadt muss sich anstrengen, wenn er eine Zukunft haben will. Er muss den Kunden Leistungen anbieten, die nicht im Internet kopiert werden können.
Welche Leistungen könnten das sein? Das werde ich hier auf Style Statements weiter verfolgen und euch vorstellen. Wie aber soll das „Mehr Leistungen“ klappen, wenn bei Geschäften die Mitarbeiter noch nicht mal mehr Zeit für ein „Hallo“ übrig haben? Kunden gar konsequent ignorieren? Oder wenn im Sale die Preise so ekklatant „purzeln“, dass mann sich doch ärgert, etwas zum Originalpreis gekauft zu haben.
Bleiben Europa und USA der wichtigste Modemarkt?
Über die Zukunft des Modemarktes Europa und Nord-Amerika sind sich Studien uneinig. Die einen sehen schon die wichtigsten Schwellenländer in Asien, Lateinamerika und Afrika vorn. Hier besagt eine gemeinsame Studie der Unternehmensberatung McKinsey und des Branchenfachblattes Business of Fashion (BoF), dass 2018 erstmals mehr als die Hälfte der Umsätze mit Kleidung und Schuhen außerhalb Europas und Nordamerikas erwirtschaftet werden. Die höchsten Wachstumsraten haben ausgerechnet die beiden Pole jeweils am Ende: die Discountmode und der Luxusbereich.
Und Europa? Hier liegt der Schlüssel nicht nur in den Männern, sondern in den älteren Männern. Ältere Kunden werden für den Modehandel immer wichtiger. Laut einer Studie der Unternehmensberatung KPMG (hier das pdf der Studie) steigt die Zahl der Senioren in Deutschland bis 2025 deutlich:
2025 wird jeder dritte Deutsche über 60 sein.
Bisher machten viele Marketing-Leute bei 49 Jahren konsequent Schluss. Wer über 50 ist, sei in seinem Konsum festgefahren. Habe seine Marken gefunden, übervolle Schränke und entsprechend weniger Konsumlust. Das ist falsch. Das ist ein Denken aus vorherigen Generationen. Die „neuen Alten“ werden aus mehrheitlicher Sicht der befragten Experten für die Studie folgendes tun:
Die neuen Alten werden ein neues Kaufverhalten aufweisen und tendenziell mehr Geld für Fashion ausgeben.
Das heißt für mich und für Style Statements:
Fünf Thesen zur Zukunft des Männermode-Marktes
- Männer als Zielgruppe zu erreichen, die im Berufsleben stehen und sich Markenkleidung leisten können, muss für Marken und Händler noch wichtiger werden.
- Sie dürfen dabei nicht nur auf junge/hippe Zielgruppen schielen, sondern müssen auch die „neuen Alten“ auf individuelle Weise ansprechen.
- Aus- statt Abbau: Online wie offline sollten Marken und Händler nicht den Fehler der Medienbranche wiederholen und ihre Angebote zurückfahren, sondern ihre Kunden wieder neu überraschen. Offline mit Einkaufserlebnissen, die nicht im Internet kopierbar sind.
- Mehr Nachhaltigkeit: Bislang vorgekommen ist hier noch nicht der Aspekt der Nachhaltigkeit. Auch dieser muss von der Modebranche noch stärker berücksichtigt werden im Hinblick auf Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen für Menschen in aller Welt. Ein „Weiter so“ wie bisher kann hier nicht mehr die Strategie sein, denn das Kundenbewusstsein hierfür wächst.
- Flexibel bleiben: Am Ende gewinnen die flexiblen Marken, Ketten, die eine erfolgreiche Omni-Channel-Stragie fahren, und nicht nur auf einen Vertriebskanal setzen.
Dieser Tage ist übrigens noch ein H&M-Paket für mich auf dem Weg. Mittlerweile schreibt man bei H&M sogar ehrlich beim Abschluss des Bestellvorgangs dazu, dass die Lieferung 8-9 Tage im Schnitt dauern wird. Ich habe mir noch ein paar leichte Tank-Tops und Hemden für den Strandurlaub bestellt. 8-9 Tage Versandzeit, die mich rätseln lassen: Hat H&M hier wohl auch wichtige Studien und Tendenzen überblättert?